Im wissenschaftlichen Netzwerk „Scheitern des Wissens – Wissendes Scheitern“ untersuchen fünfzehn Wissenschafter_innen der Nordamerikastudien und benachbarter Disziplinen kollaborativ den Zusammenhang von Scheitern und Wissen, indem sie solch aktuelle Probleme wie das ‚postfaktische Zeitalter‘, Klimawandelleugnung oder die digitale Kluft, aber auch historische Fragestellungen wie die Unterdrückung indigenen Wissens analysieren. Scheitern und Aspekte des Wissens sind untrennbar miteinander verbunden. Die Annahme, dass Wissen sozial konstruiert ist, und dass seine Zirkulation von Machstrukturen abhängt, legt die Frage nahe, wie und warum wir wissen, dass jemand gescheitert ist. Das Konzept des Scheiterns (und die Selbstidentifikation als ‚gescheitertes Individuum‘) setzt spezifische Epistemologien voraus, die ihrerseits von sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Prozessen hervorgebracht wurden.
Folglich ist die Hypothese dieses Netzwerks, dass Wissen hinsichtlich der Formierung ‚gescheiterter Individuen‘ ebenso wirkmächtig ist wie hinsichtlich der Rhetorik, auf der die Binarität Erfolg / Scheitern basiert. Wissen kann Scheitern sowohl verhindern als auch katalysieren: Fehlender Zugang zu Wissen kann sich negativ auf die soziale und ökonomische Teilhabe auswirken, während die Strukturen und Systeme des Wissens zur Produktion von Normen und Hierarchien beitragen, die Menschen mit bestimmten Subjektpositionen disqualifizieren (z.B. Heteronormativität). Gleichzeitig kann das subversive Wissen jender, die als gescheitert angesehen werden bzw. sich selbst derart bezeichnen, besonders erkenntnisreiche Einblicke in eine hegemoniale Ordnung hervorbringen, und stellt auch ein wichtiges Reservoir für Formulierungen alternativer Zukunftsszenarien dar.
Das Wissen um das eigene Scheitern kann auch zur Quelle des Widerstands und des Vergnügens werden. Das subversive oder subalterne Wissen ‚Gescheiterter‘ kann also soziale Strukturen und hegemoniale Diskurse effektiv in Frage stellen (dies gilt für emanzipatorische soziale Bewegungen wie Black Lives Matter ebenso wie für die neue Rechte). Die Produktion von ‚Wissen von unten‘ findet dabei häufig in sozialen Praktiken und medialen Genres statt, die traditionell nicht als Generatoren des Wissens wahrgenommen wurden (z.B. Popkultur oder implizites Wissen). Darüber hinaus widmet sich dieses Netzwerk auch der Erforschung von Momenten, in denen Wissen scheitert.
Im gegenwärtigen politischen Moment ist das Ideal des Wissens als rational und universell, das in der europäischen Aufklärung verankert ist, Kritik unterschiedlicher Provenienz ausgesetzt. So hat beispielsweise das Erstarken der Alt-Right zum Anbruch des ‚postfaktischen Zeitalters‘ beigetragen, in welchem Expertenwissen und etablierte Modi der Wissensproduktion ignoriert oder geleugnet werden (Stichwort: Klimawandelleugnung). Tradierte Modi der Wissensproduktion werden aber auch von jenen als gescheitert betrachtet, die westliche Epistemologien und Institutionen der höheren Bildung zu dekolonialisieren suchen.
Im Sinne der Public Humanities werden die Mitglieder des Netzwerks auch regelmäßig den Dialog mit der interessierten Öffentlichkeit suchen, um ihre Forschungsergebnisse mit der Zivilgesellschaft zu diskutieren und zu teilen. Das Netzwerk wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und läuft von Februar 2020 bis Januar 2023.