Forscherin: Prof. Dr. Regina Schober
In diesem Projekt möchte ich untersuchen, wie sich Vorstellungen, Diskurse und Erzählungen über das digitale Zeitalter parallel zur Semantik der Toxizität von den Anfängen des Internets bis heute weiterentwickelt haben. Als Formen von „toxischem Wissen“, so meine Arbeitshypothese, waren digitale Medien immer in Narrative von Verbreitung, Leaks und Disruptionen eingebettet. Mit der Entwicklung des Internets entwickelte sich auch die Metapher des Toxischen. So hat es einen Wandel in der Konzeptualisierung des Digitalen als toxisch gegeben, von der Betrachtung des Digitalen als „Pharmakon“ mit seinem Potenzial als Heilmittel hin zu einer reduzierten Darstellung der digitalen Medien als gefährliche Risiken. Mein Ziel ist es, diese These anhand verschiedener Beschreibungen des Internets zu untersuchen, die von den späten 1960er und frühen 1970er Jahren bis heute reichen. Dazu gehören Zeitungsartikel, Literatur, audiovisuelles Material, aber auch der Online-Diskurs selbst. In meinem Projekt werde ich auf dem Konzept des „toxischen Diskurses“ von Lawrence Buell und seinen Implikationen für die Betrachtung der Wirkungsweise sowohl der Toxizität als auch des sie umgebenden kulturellen Diskurses aufbauen. Man kann argumentieren, dass sowohl die Toxizität als auch der toxische Diskurs ermächtigend und destruktiv zugleich sein können, und sowohl ein „Wissen des Scheitern“ als auch ein „Scheitern des Wissens“ konstituieren. Ein zentrales Konzept für dieses Projekt ist das des „Pharmakon“, wie es Jacques Derrida in seiner Analyse von Sokrates‘ Beschreibung von Platons Phaidros (1983) definiert hat. In diesem Zusammenhang wird Toxizität sowohl als Heilmittel als auch als Gift betrachtet – raffiniert verbunden mit den Technologien des Schreibens. Diese Ambiguität ist in jüngster Zeit sowohl in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse (z.B. Sara Crosby, “ The Poisonous Muse“, 2016) als auch in Bezug auf die digitalen Medien (Bernard Stiegler, “ digital pharmakon“, 2012) diskutiert worden. Das Internet und die digitalen Medien wurden anfangs mit einer solch zweideutigen Semantik der Toxizität in Verbindung gebracht (siehe z.B. John Perry Barlow, „The Declaration of the Independence of Cyberspace“, 1996), während neuere Diskussionen das Internet auf seine schädlichen Auswirkungen, zum Beispiel Online-Hassreden und Medienabhängigkeit, reduzieren. Es erscheint vielleicht paradox, dass der Erfolg der Toxizität als kulturelles Konzept und ihre diskursive Verbreitung das Scheitern ihrer Tiefe als Wissenskategorie bewirkt haben.